14. November 2010

September Fata Morgana - Thomas Lehr

Thomas Lehr hat in dieses Buch alles schreckliche, wichtige, zusammenhängende, die Wahrheit über 9/11, den Irak, die USA, die Welt, dargestellt.
Mit einer zeitgeschichtlichen Tragödie, hat er diese aber trotzdem wunderbar schön bewegend, so unglaublich genau, und tiefsinnig erzählt. Er gibt uns den Einblick in die Welten zweier Familien verschiedener Länder.
Parallel können wir die immense Trauer- und Wutaufarbeitung zweier Väter erleben, die beide eine Tochter, einer in New York 2001 und einer in Bagdad 2004, verlieren. Unschuldige Menschen müssen sterben. Öl? Geld? Krieg?
Die Väter suchen verzweifelt nach Antworten, was haben sie falsch gemacht, wie hätte das alles verhindert werden können. Tarik, ein Arzt in Bagdad der sich als Ablenkung in seine Arbeit stürzt:

…gegen den Typhus in drei Fällen kann ich etwas tun weil es gerade einmal wieder Chloramphenicol gibt nachdem ich Dutzende von Kindern daran habe sterben sehen wie auch an Brechdurchfällen und an Cholera
Mächtige des Reiches!
Sauft Tigris-Wasser bis eure Gedärme zu Schlamm geworden sind
Mächtige der UN!
Sauft Öl bis ihr begreift dass ihr nicht den Tyrannen geschwächt sondern Hand in Hand mit ihm die Kinder des von ihm geschundenen Landes ermordet habt…

Und Martin, Professor in New York der die Situation mit dem Freund seiner Ex-Frau aufarbeitet.
Es gibt hier beim Lesen keine Satzzeichen und das fand ich fantastisch gut, es würde sich nie so konzentriert lesen lassen und es wäre dann nicht Thomas Lehrs Geschichte die er zu vermitteln versucht!

Am Cover des Buches stehen diese Worte …es ist ein schwer fassbares Werk, das erst forder, dann gibt…



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Bewertung 8 von 10

19. September 2010

ROST - Philipp Mayer

Jeder hat schon schwer daran zu arbeiten, mit seinem Leben zu Recht zu kommen. Jeder kämpft mit sich selbst. Seinem Charakter, seinem Gewissen. Versucht seine Familie glücklich zu machen, ihnen so viel wie möglich zu bieten. Dazu benötigst du auch Geld. Aber du bist arbeitslos. Fast alle sind hier arbeitslos. Warum? Weil es keiner der Politiker für nötig hielt, seinen Finger zu rühren und den Leuten zu helfen. Die Stahlregion war tot. Alles war bereits rostig.

Auch Isaac und Poe zwei junge, ganz unterschiedliche, Jungs um die zwanzig, wollen weg. Nicht mehr länger herumlungern und keine Zukunft in dieser Stahlregion sehen, finden. Beide sind bereit für den Aufbruch. Es wird Zeit für ein Studium und beide haben die Möglichkeit dazu und wollen diese nutzen. – cut /Schnitt – was ist passiert. Durch die Mischung der Unterschiedlichkeit der Jungs, kommt es zu schwierigen, leichtsinnigen, nicht mehr verhinderbaren Situationen. Es kommt zu einer Tragödie. Alles was nun mit den Beteiligten passiert, ist nicht fair. Das Leben ist nicht fair.

Unglaublich traurig. So war mein Zustand nachdem ich das Buch mit der letzten Seite geschlossen habe. Traurig über die Realität unserer Zeit. Dieses Buch reißt so viele Themen auf, reißt es "in einem" auf. Und man will und kann es einfach nicht glauben, dass es doch hier und jetzt so ist. Diese Geschichte fängt den „amerikanischen Zeitgeist“ ein, wie es so schön am Cover des Buches beschrieben ist.

Dann lese ich die letzte Seite, und bin zu meiner großen Traurigkeit die mir das Buch vermittelte, nochmals traurig, denn es ist schon zu Ende…
„Ein Debüt voll existenzieller Wucht und unerwarteter Schönheit.“ „Und ein Buch über die lebensrettende Kraft der Freundschaft.“


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Bewertung 9 von 10

2. September 2010

weiter leben - Ruth Klüger

Lieber Kopfkino-Besucher, danke, dass Sie hier wieder mal „vorbeilesen“.

Das folgende Buch von Ruth Klüger gehört für mich zu einem der besten und intensivsten zu lesenden Bücher, über  „Holocaust, über KZ-Gefangenschaften“.  Es ist ihre subtile, verfeinerte Art zu schreiben, grausame Erlebnisse und Gefühle ganz behutsam und ruhig an den Leser weiterzugeben, erlebtes nach zu erzählen.

Es war nicht nur 1 Lager, welches Ruth Klüger als Jugendliche erleben musste, sie hatte das Glück (!) „weiter zu kommen“ von Theresienstadt nach Auschwitz-Birkenau und weiter nach Christianstadt (Gross-Rosen).  „HOFFEN WAR PFLICHT“, schreibt sie.

Sie beschreibt hier eine sehr interessante Seite ihrer Aufarbeitung des erlebten Krieges. Unendlich viele Fragen stellt sie sich, alles so unvorstellbar, wozu der Mensch fähig ist. Und wenn sie schreibt, „Mit erfrorenen roten / Händen schaufelt mein Bruder sein eigenes Grab“. Wie sie uns hassen müssen.   – es gibt solche Unmengen an Gräuel zu dieser Zeit, die man nur kopfschüttelnd annehmen muss und ich kann mir gar nicht vorstellen, dass jemand eine solche Vergangenheit bewältigen kann.

Texte:
„Eigentlich sei es ja gar nicht so abnormal, Fremde zu hassen, man hört das überall in Deutschland. Das gehe auf uralte Defensivmechanismen und steinzeitalterliche Hirnstrukturen zurück. Aufgabe einer fortschrittlichen Erziehung sei es dann, diese naiven Reaktionen abzubauen; durch aufgeklärtes Denken altes Hordendenken zu überwinden“.

„ Dass ihr Entnazifizierungsprogramm korrupt und inkompetent war, konnte auch eine 14-jährige mit bloßem Auge sehen“. Der Nazismus war das Produkt einer hohen Zivilisation, die aus ihren morschen Fugen geriet, niemand konnte wissen, wie und wann, während man primitives Verhalten, wo die Fugen noch frisch und fest sind, mit ziemlicher Sicherheit voraussagen kann. Was hier in Deutschland geschah, war zivilisiert und daher willkürlich. Willkürlich bedeutet freiwillig gewählt.




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Bewertung 8 von 10

15. August 2010

Abendland - Michael Köhlmeier

In diesem Buch liest man die Geschichte zweier Familien im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Über das Leben des Mathematikers Carl Jacob Candoris, der weis wie man mit einem Mord lebt und dessen Frau einen Liebhaber hat. Und über das Leben der Familie Lukasser, der Vater ein begnadeter Jazz-Musiker, mit dem seine Frau und sein Sohn Sebastian dessen Leben „mit leben“ müssen. Sebastian versucht es als Schriftsteller und wird dann Carl Jacob Candoris Biograph. In dieser Form, ist Köhlmeiers Roman auch zu lesen.

Anscheinend ist es eine Spezialität von Köhlmeier, alles sehr, sehr genau und besonders detailliert zu erzählen. Daher war es für mich, milde ausgedrückt, abschnittsweise etwas langatmig. Doch durch die Vielfalt der Themen, findet man immer wieder interessante Denkanstöße, wie z.B. über die Gene, oder wie man die Urmelodie finden kann…oder mit Sätzen wie „die große Freiheit beginnt, wenn das große Gewissen abgeschafft ist“.

Es gibt an der Schreibkunst von Michael Köhlmeier und dem dahinter stehend, recherchiertem Wissen keine Kritik, eigentlich nur Respekt und Lob. Trotz alldem fehlte für mich etwas, das mich an der Geschichte, den Hauptdarstellern, fesseln hätte können.
  
Anmerkung: „Idylle mit ertrinkendem Hund“, von Köhlmeier, mit 109 Seiten, ist für mich z.B. „ein großer Wurf“.


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Bewertung 6 von 10

16. Juli 2010

Bis zur letzten Stunde, Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben - Traudl Junge

Wie Tagebucheintragungen werden die letzten 3 Jahre mit dem Führer von seiner Sekretärin, Traudl Junge, erzählt. Sie gibt uns einen Einblick über die Aufenthalte im Bunker Wolfsschanze in Ostpreußen und im Frühjahr am Berghof. Es kommt einem vor, als ob die Beteiligten sich auf einer Kur befunden hätten. Die Mahlzeiten wurden alle mit dem Führer eingenommen, meist mit bis zu 20 Leuten, und das Haus im Wald zur Teepause, war dann wie ein Pflichttermin für Jeden. Das Abendessen verlief bis in die Morgenstunden bei gemütlichem Zusammensitzen. Irgendwie schien es, als hätte sich Hitler einen „Familienkreis“ in seiner Abgeschiedenheit oder besser gesagt in seinen Verstecken, geschaffen. Dieser umfasste einige Sekretärinnen, Generäle, Besucher und seine Begleitung, Eva Braun. Irgendwie schein mir als wollte Hitler hier ein „normales“ Leben führen.

Seinen Krieg führte Hitler anscheinend nur hinter seinem Schreibtisch, denn in Traudl Junges Aufzeichnungen wird nie erwähnt, dass Hitler sich an irgendeiner Front sehen ließ. Sich vor Ort den Gräuel seiner Befehle stellte. Außerdem war er davon überzeugt, dass er ein Genie sei, denn er wollte keine Kinder, mit der Begründung: sie würden nur darunter leiden, die Kinder eines Genies zu sein, da sie ja nie noch besser sein könnten als er. Dieser Mensch muss den Bezug zur Realität total verloren haben, schlussendlich ist er ja auch noch zu Feige, sich seiner Verantwortung aller Verbrechen zu stellen. Glaubt es sei ein heldenhafter Abgang seinen Selbstmord anzukündigen und noch jedem vorher die Hand zu schütteln.

Traudl Junge erzählt nie über eine Konfrontation mit dem Schicksal der Juden, das dürfte für Sie ein Thema abseits des Krieges gewesen sein, von dem Sie nichts wusste, oder nichts wissen wollte? Diese Niederschrift fand ja im Jahre 1947 statt, wo Traudl Junge vielleicht auch noch nicht erkannte, wie auch viele andere zu dieser Zeit, was für eine zusätzliche Tragödie zum Krieg selbst, mit der Judenverfolgung, -vernichtung, durch ihren Arbeitgeber Hitler, noch geschah.

Im späteren Alter, sind ihre Gedanken dann doch gereift (es werden dann am Ende des Buches Gedanken und Schreiben späterer Jahre als Anhang beigefügt): Immer konkretere Schuldgefühle belasteten sie – mit einem Mal bricht auch das lange Zeit bequeme Alibi „du warst doch noch so jung“ zusammen. Je älter sie wurde, umso weniger kam sie damit klar, an welcher Tragödie sie mitgewirkt hat. Starke Schuldgefühle und Depressionen waren die Folge. Leider gab es auch für Traudl Junge, kein Mittel es zu vergessen.
(bezieht sich auf Ausgabe 2002)

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 Bewertung 6 von 10

6. Juni 2010

Drood - Dan Simmons

Grundsätzlich wäre es mir lieber, wie immer, mit großer Erwartung und Vorfreude, mich gemütlich hinzusetzen, das Buch wieder auf zu schlagen, und in meine andere Welt, diesmal mit „Drood“, zu entschwinden, als mich vor den PC zu setzen und diese Rezension zu schreiben. Doch leider ist auch bei diesem Buch einmal das letzte Wort gelesen! Das wunderbare an Dan Simmons Erzählkunst ist, dass es eine immense Sogwirkung auf den Leser ausübt, jedenfalls auf mich. Und nun ein kurzer Vorgeschmack zum Inhalt:

Wie bei „Terror“, seinem letzten Buch, gelangt man wieder in ein anderes Zeitalter, und lernt diesmal das Leben zweier Schriftsteller kennen: Charles Dickens und dessen Freund Wilkie Collins, die gerade den Höhenflug ihrer beiden Karrieren erleben. Es beginnt in London im Jahr 1865. Im Mittelpunkt der Handlung steht das literarische Schaffen der beiden Schriftsteller, wobei das Genie Charles Dickens, dem talentierten, aber trotzdem unterlegenem Wilkie Collins gegenüber steht. Der Roman hält uns hier sehr gut vor Augen, was mit Menschen passiert, wozu sie fähig sind, wenn Neid ins Spiel kommt. Damit die historische Geschichte über Literatur auch interessant bleibt, wird die mysteriöse Gestalt Mr. Drood, wunderbar mit eingeflochten. Drood, seines Zeichens Heiler, Meister der magnetischen Wissenschaft, Christusgestalt und Mystiker - der Mann der Londoner Unterwelt.

Für den Leser beginnt die Verschmelzung der realen Begebenheiten und den Opiumfantasien Wilkie Collins, der Ich-Erzähler des Romans. Ein hervorragender historischer Roman. Kolossal, in der Tat!


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Bewertung 10 von 10

5. April 2010

Spätes Tagebuch - Erika Pluhar

Paulina Neblo, eine Frau um die 70, siecht und leidet, alleine, in ihrem großen wunderschönen alten Haus, ihrem Lebensende entgegen. Eigensinnig, egoistisch, selbst bemitleidend, verblasst, ohne Sicht in die Zukunft. Und warum, weil sie ihren Lebenssinn, ihr Lebensglück, welches sie in ihre Tochter und ihre große Liebe Hr. Neblo fand, bereits verloren hat.

Erika Pluhar beschreibt hier sehr interessant, wie man sich im Leben aufgeben kann, wie trostlos man alles sehen, und wie sehr man sich vom Leben zurückziehen kann. Und alles, das auf einen zukommt, mit negativem Blick sehen kann. Einfach „Leben“ verweigert. Doch gibt es Menschen in Paulinas Umfeld, die die Welt, das Leben mit positiven Augen sehen, optimistisch in den Tag gehen und es damit Paulina sehr schwer machen, sich dem Leben weiterhin noch zu verschließen.

Diese Zeilen lesend, versetzte mich dieses Tagebuch in einen angenehmen, beruhigenden Zustand, den man nach Beendigung des Buches noch gerne weiterklingen lässt, und genießt.


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Bewertung 6 von 10

30. März 2010

Tel Ilan - Amos Oz

Was doch an einem Ort, hier ist es Tel Ilan in Israel, wo Menschen zusammen leben, alles für Geschichten entstehen können. Viele Geschichten des Alltags sind es, und wunderbar erzählt von Amos Oz. Jede dieser Geschichten ist sehr kurz, aber so richtig mit Inhalt geballt ausgestattet. Wie es doch ist, sein alltägliches Leben so zu gestalten, dass man etwas Zufriedenheit findet, obwohl man doch etwas anderes „leben-erleben“ wollte. Ja, es ist Komödie mit Tragödie vereint. Amos Oz, hat mich mit diesem Buch für sich begeistern können.


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Bewertung 8 von 10

17. Februar 2010

Die schwarzen Vögel - Maarten´t Haart

Was spielt sich im Kopf einer Frau ab, deren Mann des Mordes an einer jungen Frau angeklagt wird, mit der er am Tag deren Verschwindens unterwegs war? Mit der er sie vielleicht betrogen hat? Wie verhält sie sich nun, welche Gedanken verfolgen sie die ganze Zeit, spaltet sie sich von der Umwelt ab, oder versucht sie dahinter zu kommen wie es dazu kommen konnte? Was war an dieser Frau besonderes, warum hat er sich mit ihr getroffen? Vielleicht wegen dem „einen Grund“, welcher dem Ehepaar schon Jahre zu schaffen machte? Und, war er es denn wirklich?
Fragen über Fragen stellen sich und lassen einen, im Laufe der Geschichte, jede mögliche Lösung überdenken.
Ja, die Geschichte fesselt auf jeden Fall und es entsteht beim Lesen eine düstere, angespannte Atmosphäre.
Ein Krimi mit einigen Lebensweisheiten geschmückt!


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Bewertung 5 von 10

2. Februar 2010

Paulo Coelho - Die Hexe von Portobello

Wer noch immer auf der Sinnsuche ist, der ist bei einem Buch von Paulo Coelho mit Sicherheit auf dem richtigen Weg, wie auch bei dieser Ausgabe.
Als Geschichte dazu, hat er sich eine Protagonistin ausgesucht, die aus dem Volk der Zigeuner abstammt und darüber kann man in diesem Roman dann einiges erfahren. Über die Vielfalt der Religionen gibt er uns etwas Einblick und auch der Fundamentalismus wird angesprochen. Eine informative, einfache Lektüre für zwischendurch.
Bei Paulo Coelho findet mit Sicherheit jeder ein paar Zeilen die einem gefallen können, ob einen aber die Geschichte selbst anspricht, ist eine andere Frage…

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Bewertung 4 von 10

24. Jänner 2010

Imre Kertész - Roman eines Schicksallosen

Zum Thema Konzentrationslager, möchte ich grundsätzlich sagen, dass es für mich einfach unerklärlich ist, wie Menschen DAS tun konnten. Kinder von ihren Müttern trennen, aussortieren, jung und kräftig von alt und schwach, Menschen in die Augen sehen und ihnen den Weg in den Tod zeigen oder auch selbst dafür Sorge zu tragen. Und dann auch noch quälen bis zu ihrem unausweichlichem Ende.

Nachdem ich das Buch beendet hatte und es zur Seite legte, war ich sprachlos und genau das hat Imre Kertész mit seiner Sprache hinterlassen, sowie große Traurigkeit und Ratlosigkeit.
Es ist dieser unschuldige und optimistische Ton, der den Roman nicht glaubwürdig erscheinen lässt, in dem Kertész seine Deportation nach Auschwitz und Buchenwald erzählt. Er erzählt in einer Sprache die vieles verschweigt, aber alles sagt, einfach eindrucksvoll.

„…wenn es ein Schicksal gibt, dann ist Freiheit nicht möglich: wenn es aber – so fuhr ich fort, selbst immer überraschter, immer erhitzter – die Freiheit gibt, dann gibt es kein Schicksal, das heißt also – ich hielt inne, aber nur, um Atem zu holen -, das heißt also, wir selbst sind das Schicksal…“
Danke für dieses Buch.


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Bewertung 10 von 10