3. März 2014

Die Fahrt - Sibylle Berg

...Wie soll man die richtigen Freunde erkennen, wenn man nicht weiß, wer man selbst ist.
Das ist das Schwerste, und viele geben auf. Richten sich ein in einer Idee ihrer selbst, und die Missverständnisse beginnen. Von Bekannten umgeben, die zu der Idee passen, die man von sich hat, die Ideen sind meist die, die man sieht im Fernsehen, die man bekommen hat von den Eltern, von den Nachbarn, von Leuten, da man glaubt, sie wüssten, wie es geht. Es geht so natürlich nicht. Vielleicht macht es böse, sich nicht zu erkennen. Macht empfänglich für religiösen Fanatismus und Wahn, für Raffgier und Geiz, vielleicht glaubt man, mit Bombenlegen und Produktekaufen, mit Therapien und Auf-kleine-Tiere-Schießen der Unzufriedenheit Herr zu werden. Falsche Ideen von sich lassen die Gier nach Macht wachsen, gebären Übergewicht und Dummheit. Klingt anstrengend und ist doch die Folge dessen, den einfachen Weg gewählt zu haben. Was die eigene Zusammensetzung bedeutet, was man wirklich will, was einen mit heiterer Gelassenheit erfüllt; herauszufinden, dass man vielleicht nichts Besonderes ist, das alles bedarf ungemeiner Anstrengungen. Es heißt, sich frei zu machen von fremden Bildern und Ideen. Bedeutet, sich jeden Tag neu zu hinterfragen. Listen zu schreiben mit ja und nein, Dafür- und Dagegen-Punkten, heißt vielleicht zu erkennen, dass man keine Freunde hat, weil man sich mit den Personen, die einen umgeben, unwohl fühlt, weil sich vielleicht die falschen Ideen von einem selbst haben. Erkenne dich selbst! Stand am Tempel von Delphi. Die Belohnung ist groß. Sie zeigt sich in Kleinigkeiten. Irgendwann fällt es einem auf, dass man völlig entspannt inmitten fremder Menschen sitzen kann, ohne sich unwohl oder beobachtet zu fühlen, dass man Veranstaltungen verlässt, wenn man sich langweilt, dass man Bücher weglegt, die einem nicht gefallen. Man muss nicht mehr in Urlaub fahren, wenn man Urlaub hasst, und wenn man es schätzt, abends um neun im Bett zu liegen, dann tut man das. Der Preis für die Mühe, sich zu hinterfragen, ist persönliche Freiheit, ist Freundschaft mit sich selbst. Kein entspannter Mensch wird einen anderen töten, wird die Energie aufbringen, sich an anderen zu bereichern. Keiner, der mit sich selbst freundschaftlich verkehrt, wird kriminelle Energie entwickeln und mit Menschen verkehren, die verspannt und verzogen sind. Er wird Freundschaft mit der Welt schließen, und das ist die Grundlage der Menschlichkeit, von der wir nun wissen, warum es sie so selten gibt, warum die Welt so langsam oder vielleicht nie zu einem besseren Ort werden wird...

...diesen Romantext, möchte ich hier für mich festhalten.
Dieser Roman kann einem vielleicht den inneren Druck nehmen, möglichst viel von der Welt sehen zu müssen. Es sind viele, zusammenhängende Erzählungen, von einzelnen Personen und von ganz unterschiedlichem Inhalt und weit entfernten Orten. Hongkong, Berlin, Shanghai...oft suchende, alternde Singles. Wie am Buchrücken zu lesen ist "Eine katastrophal brillante Komödiantin."  


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Bewertung 8 von 10

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